Psychoanalyse nach Freud
Begriff: Die Psychoanalyse ist ein gesprächsorientiertes Verfahren auf psychologischer Grundlage.?
Unterformen: Klassische Psychoanalyse (= Langzeitanalyse = Große Analyse), analytische Psychotherapie, Fokaltherapie (= psychoanalytische Kurztherapie).?
Geschichte: Die Psychoanalyse wurde Ende des 19. Jahrhunderts von dem Neurologen Sigmund Freud (1856-1939) in Wien begründet. Sie ist das älteste (im modernen, westlichen Sinn) psychotherapeutische Verfahren und Grundlage vieler später entstandener Therapieverfahren. Freud selbst veränderte das Verfahren kontinuierlich. Noch zu seinen Lebzeiten gründeten einige seiner Schüler wie Carl Gustav Jung oder Alfred Adler eigene therapeutische Schulen.
Ziele: Heilung psychischer und psychosomatischer Störungen aller Art (vor allem Neurosen); Liebes- und Arbeitsfähigkeit; Rekonstruktion der persönlichen Lebensgeschichte durch Aufdecken von Verdrängtem; Bewußtmachen von unbewußten Vorgängen; Befähigung zur Selbstanalyse.
Die klassische Psychoanalyse (Standardverfahren) ist immer eine Einzeltherapie, wobei die AnalysandIn auf einer Couch liegt und die AnalytikerIn am Kopfende dieser Couch sitzt.
Es gibt dadurch keinen Blickkontakt zwischen AnalysandIn und AnalytikerIn.
Zielgruppen: für alle Altersgruppen.
Vorgehensweise: Psychoanalyse wird als Einzel-, Gruppen-, Paar-, Familien- und Spieltherapie angeboten. Im Vorgehen kann zwischen klassischer Psychoanalyse, psychoanalytischer Psychotherapie und Fokaltherapie unterschieden werden. Die AnalysandIn wird aufgefordert, alles zu sagen, was ihr durch den Kopf geht, egal wie lächerlich, peinlich, nebensächlich ihr diese Gedanken erscheinen (freie Assoziation).
Die AnalytikerIn soll sich alles mit gleichmäßiger Aufmerksamkeit anhören und von Zeit zu Zeit Deutungen der unbewußten Vorgänge anbieten. Zwischen AnalysandIn und AnalytikerIn soll die sogenannte Übertragungsbeziehung entstehen, d.h. daß die AnalysandIn Gefühle und Wünsche auf die AnalytikerIn überträgt (= ihr gegenüber erlebt), die sie wichtigen Bezugspersonen ihrer Kindheit gegenüber empfunden hatte. Die Analyse dieser Übertragung ist genau wie die Traumanalyse eine zentrale Technik der Psychoanalyse.
Eine weitere Methode ist die Widerstandsanalyse, wobei Widerstand all die Handlungen und Worte der AnalysandIn genannt werden, die sich der Bewußtwerdung unbewußter Motive oder der in der Analyse angestrebten Veränderung entgegenstellen.?In der psychoanalytischen Psychotherapie sitzen sich TherapeutIn und PatientIn meist gegenüber. Die Methoden und Theorien der klassischen Psychoanalyse können flexibler eingesetzt werden.?
In der Fokaltherapie sitzen sich TherapeutIn und PatientIn ebenfalls gegenüber. Die TherapeutIn versucht zu Anfang den Kernkonflikt oder Fokus der PatientIn durch gezieltes Fragen herauszufinden. Die PatientIn soll direkt zu diesem Kernkonflikt Gefühle und Gedanken aussprechen, die die TherapeutIn deutet.
Theorie: Freud hat frühkindliche Triebkonflikte und Triebfixierungen auf verschiedenen sexuellen Entwicklungsstufen (oral, anal, genital) als Ursachen der Neurosenentstehung angenommen. Modernere psychoanalytische Krankheitstheorien wie die sogenannte Objektbeziehungstheorie sehen die Ursache von psychischen Störungen weniger in Triebkonflikten als in den gestörten Beziehungen des Kindes zu zentralen Bezugspersonen während der ersten Lebensjahre.
Die Behandlung psychischer Störungen soll durch Bewußtmachen der unbewußten Konflikte und durch die Einsicht in die lebensgeschichtliche Bedeutung der Symptome erreicht werden. Durch die Methoden der freien Assoziation, der Traumanalyse, der Widerstandsanalyse und der Übertragungsanalyse soll der Zugang zum Unbewußten ermöglicht werden. Es wird angenommen, daß durch Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten diese Konflikte nachträglich verarbeitet werden können.
Die klassische Psychoanalyse dauert deshalb so lang, weil angenommen wird, daß die langwierige Entwicklung, Durcharbeitung und Auflösung einer Übertragungsneurose (künstliche Neurose, die durch die Übertragungsbeziehung entsteht) die Voraussetzung für eine tiefgreifende Persönlichkeitsveränderung oder Heilung ist.
Ethische Unbedenklichkeit: Ziele und Vorgehensweise widersprechen im allgemeinen nicht humanen Grundsätzen. Ethisch bedenklich ist bei der klassischen Psychoanalyse, wenn manche TherapeutInnen ihren PatientInnen ein Schweigegebot über das Geschehen in den Sitzungen auferlegen.
Die Übertragung wird in der Psychoanalyse zunächst gefördert – manche PsychoanalytikerInnen verpflichten ihre PatientInnen dazu z.B. nur dann in Urlaub zu gehen, wenn sie selbst es tun oder während der Therapie keine einschneidenden Veränderungen in ihrem Leben vorzunehmen. Analytische Psychotherapie und Fokaltherapie sind wegen geringerer Intensität und Dauer weniger ethisch bedenklich.
Verwendete Literatur:
BOCK, RUDOLF (1987, 4. Aufl.): Psychoanalyse – Paderborn (Junfermann); in:
PETZOLD, HILARION (Hrsg.), Wege zum Menschen, Bd. 2,S.101-173
SCHMIDBAUER, WOLFGANG (1988): Liebeserklärung an die Psychoanalyse; Reinbek bei Hamburg (Rowohlt)
MOSER, TILMAN (1984, 2. Aufl.): Kompaß der Seele – Frankfurt/M. (Suhrkamp)
HOFFMAN, SVEN OLAF (1987, 2. Aufl.): Psychoanalyse; München, Weinheim (Psychologie Verlags Union); in:
CORSINI, RAYMOND J. (Hrsg.), Handbuch der Psychotherapie,S.978-1007
MERTENS, WOLFGANG (1991, 3. Aufl.): Psychoanalytische Psychotherapie; München (Beck); in:
KRAIKER, CHRISTOPH – PETER, BURKHARD (Hrsg.), Psychotherapieführer,S.52-72
HOUBEN, ANTOON (1991, 3. Aufl.): Tiefenpsychologische Kurztherapie und Beratung; München (Beck); in:
KRAIKER, CHRISTOPH – PETER, BURKHARD (Hrsg.), Psychotherapieführer,S.244-254