EMDR - Traumatherapie

Jede wichtige Innovation im Bereich der Psychotherapie baut auf ihren Vorgängern auf oder profitiert von diesen, und EMDR ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Viele glauben fälschlich, es handle sich dabei um eine sehr begrenzte Methodologie, die in keinerlei Verbindung zu den: traditionelleren psychotherapeutischen Ansätzen und Prinzipien stehe.

Das Gegenteil ist der Fall. EMDR ist nach den ersten Anfangen im Laufe eines Jahrzehnts zu einer Methodologie geworden, die Aspekte vieler wichtiger psychotherapeutischer Denkschulen für die Behandlung eines großen Spektrums von Pathologien bündelt. Die Anwendung von EMDR bei einfachen posttraumatischen Belastungsstörungen hinaus und erforscht anhand anschaulicher Fallbeschreibungen die Implikationen jenes Informationsverarbeitungsmodells, das die EMDR-Praxis prägt. Außerdem untersucht es, wie die Anwendung dieser Methode durch das Wissen und die praktischen Fähigkeiten erfahrener Kliniker ergänzt werden kann, unabhängig von deren theoretischen Wurzeln und von ihrem jeweiligen Spezialbereich.

1987 wurde EMDR aufgrund einer zufälligen Entdeckung über die Wirkung von Augenbewegungen auf kognitive- und emotionale Prozesse entwickelt.
Das Modell der beschleunigten Informationsverarbeitung (AlP-Modell, siehe Shapiro 1998; Shapiro & Forrest 1998), das ursprünglich als Ansatz zur Erklärung der für EMDR spezifischen Wirkung entwickelt wurde, führte zur Einbeziehung bestimmter primärer Grundsatze in die klinische Standardanwendung von EMDR. Dass Dysfunktionale verhaltensweisen und entsprechende charakteristika sind das Resultat früherer Erlebnisse, die im Gehirn als zustandsspezifische Erinnerungen gespeichert wurden.

Dies bedeutet: Was der Klient (Patient) gesehen, gehört und gefühlt hat, ist so gespeichert worden wie der Betreffende es in der ursprünglichen Situation erlebte, und diese gespeicherte Information bildet die Grundlage für die augenblicklichen Erfahrungen des Klientes (Patienten) seiner Selbstachtung, seines Selbstkonzepts, seines Bewusstseins der eigen Möglichkeiten und seiner Beziehungsdynamik. Es wurde postuliert, dass bei adäquater Wahl der Ziele und entsprechender Verarbeitung sogar Persönlichkeitsstörungen modifiziert werden könnten.

Ein anderer Grundsatz des Modells der beschleunigten Informationsverarbeitung lautet, dass Kliniker mit seiner Hilfe tiefgreifende therapeutische Veränderungen in kürzerer Zeit herbeiführen konnten, als traditionell für notwendig gehalten worden war, und zwar unabhängig von der Zeitspanne, die seit dem belastenden ­ Ereignis vergangen sei. 

Ganz gleich, ob die Gesamtdauer einer EMDR- Behandlung nur drei Sitzungen oder drei volle Jahre umfasst, die verständige Anwendung der Methode durch den behandelnden Therapeuten wird in jedem Fall durch das Feedback des Klienten (Patienten) und durch die Indikatoren für die Veränderung beeinflusst.
Bei einer adäquaten EMDR-Behandlung nehmen nicht nur die emotionale Belastung und andere affektive und somatische Symptome ab, sondern für den Klienten (Patienten) verändert sich auch die Bedeutung der früheren Lebenserfahrungen, und er macht sich durch sorgsam orchestrierte therapeutische Instruktionen spontan neue Selbstkonzepte und Verhaltensmuster zu eigen.

Um Veränderungen herbeizuführen, wird in der EMDR-Praxis gewöhnlich ein aus drei Elementen bestehendes Protokoll angewendet. Dieses besteht aus:

1. der Reprozessierung jener früheren Ereignisse, die die Grundlage für die Dysfunktionen bilden,

2. der Verarbeitung der aktuell belastenden Situationen und

3. der Integration der Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die für ein effektives zukünftiges Handeln erforderlich sind.

Die negativen Bilder, Überzeugungen und Affekte der Klienten (Patienten) werden diffusen und verlieren ihren beherrschenden Charakter, wohingegen positive Bilder, Überzeugungen und Affekte verstärkt werden und subjektiv als plausibler empfunden werden. Wir werden Zeugen dessen, wie Klienten sich von den Fesseln der Vergangenheit befreien und sich eine neue Welt von Möglichkeiten erschließen.

Besonders erwähnens- und bewundernswert ist, wie detailliert einige Autoren des Buches ihre Begründung für die Einbeziehung verschiedener theoretischer Orientierungen in ihre Behandlungsplanung und in die eigentlichen EMDR- Interventionen beschreiben. Eine solch scharfsichtige und intelligente Innovation ist sowohl d­em Klienten als auch der verantwortungsvollen Weiterentwicklung der Methodologie in höchstem Maße dienlich.

Ob wir die Probleme der Klienten (Patienten) mit den Augen eines psychodynamisch orientierten Therapeuten, mit denen eines Verhaltenstherapeuten, eines kognitiven Therapeuten oder eines Systemikers betrachten oder ob wir sie im Sinne von Persönlichkeitsstörungen oder anderen vom DSM beschriebenen Störungen definieren sind psychotherapeutischen Behandlung in der Lage sind, zu verändern. Die Heilungsprozesse erwähnten Klienten können im Vokabular jedes ­wichtigen psychotherapeutischen Ansatzes beschrieben werden, ebenso wie die Charakteristika einer erfolgreichen Behandlung für jeden praktizierenden Kliniker offensichtlich sind. Man kann den Autoren der einzelnen Beitrage nur dazu gratulieren, dass sie akribisch nicht nur den Erfolg verschiedener Interventionen, sonder­ auch Fehlschlage derselben beschrieben haben.

EMDR hilft bei einem fragmentierten Klienten mit Bindungsproblemen sowie die Notwendigkeit, die EMDR-Standardprotokolle zu erweitern, um die Identifikation von Zielen und die Stimulation des Informationsverarbeitungssystems zu unterstützen und die für die optimale Adaptation eines großen Spektrums psychischer Störungen und Diagnosen notwendigen Ressourcen einzubeziehen.
EMDR ist definiert worden als ein integratives, klientenzentriertes Model, das Kliniker dazu ermutigt, die relevanten Aspekte anderer wohl bekannter therapeutischer Ansatze in ihre Behandlung einzubeziehen (siehe Shapiro 1994, 1998).

Aus der Sicht des Klienten besteht das Behandlungsziel oft einzig und allein in der Linderung belastender Symptome. Für in der Anwendung von EMDR erfahrene praktizierende Kliniker hingegen bes­te­ht ­das letztendliche Ziel abgesehen von der Auflosung des akuten Leidens in der Erweiterung der Fähigkeiten des Klienten, sich selbst und andere zu Heben sowie in der Erweckung einer neuartigen Freude am Leben. obwohl seit der Entstehung von EMDR mittlerweile zehn Jahre vergangen sind, (2000) ist diese Methode immer noch in der Weiterentwicklung begriffen.

Dies ist nicht zuletzt jenen Klinikern zu verdanken, die unablässig daran arbeiten, die uns allen innewohnenden Fähigkeiten zur Aktivierung innerer Heilungsprozesse zu verfeinern, um auf diese Weise die im gesamten klinischen Spektrum beobachtete Symptomatologie positiv zu beeinflussen.

EMDR regt gleichzeitig dazu an, über die Implikationen eines integrierten therapeutischen Ansatzes für ein großes Spektrum oft nur sehr schwer behandelbarer Pathologien nachzudenken. Außerdem spornt, über die derzeitigen Grenzen der klinischen Anwendung von EMDR nachzudenken, und es appelliert an, den

Wissensfundus über die Möglichkeiten der Anwendung von EMDR sowohl durch innovative Anwendungen als auch durch neue theoretische Aspekte zu erweiten. Francine Shapiro, Ph. D. (Vgl. Manfield 2000 S. 6-9)